Letzte Woche habe ich über meine von langer Hand geplanten Tour bei Tomatin geschrieben. Heute kommt das krasse Gegenteil zum tragen, denn die Tour bei Edradour war spontan, zufällig und hätte beinahe nicht stattgefunden. Was ein Glück, dass es nur beinahe so war.
Ich nehme euch also auf eine Tour in "Scotland's little gem" - Edradour.
Edradour - Die kleinste Brennerei Schottlands?
Wie schon zuletzt möchte ich euch einen kleinen Überblick über die Brennereigeschichte geben, bevor es an die Tour geht.
Gegründet wurde Edradour von lokalen Bauern um 1825, ein ganz genaues Datum steht allerdings nicht wirklich fest. Die offzielle Grüdung fand 1837 statt. Der Name stammt wahrscheinlich von gälischen Dhà Dhobhar, was "Zwischen zwei Wassern" bedeutet, wobei hier der Edradour Burn und der Kinnaird Burn gemeint sind. Wie bei vielen Brennereien ging Edradour in der Folge durch mehrere Hände, wobei vor allem die letzten beiden Stationen relevant sind: Seit 1982 gehörte die Destille zu Campbell Distillers Ltd. und damit zu Pernod Ricard. Eben dieser Konzern brachte 1986 die erste Single Malt Abfüllung heraus.
Der aktuelle Besitzer wird vielen Whiskyfreunden bekannt sein: 2002 kaufte Andrew Symington, dem auch der unabhängige Abfüller Signatory gehört, die Brennerei. Unter seine Regie entstanden unzählige Abfüllungen mit verschiedenen Finishes oder Vollreifungen. Seit 2006 wird mit dem Ballechin auch eine rauchige Linie vertrieben. Ganz aktuell wurde eine Erweiterung der Brennerei in Betrieb genommen, womit sie jetzt an die 200.000 Liter Alkohol im Jahr produziert. Damit ist Edradour zwar nicht mehr die kleinste Brennerei Schottlands - was ihr im übrigen eh schon lange unzählige Craft Distilleries streitig gemacht habe - aber dennoch wird hier so viel (oder wenig) Whisky im Jahr produziert wie bei anderen in einer Woche. Um es anders auszudrücken: Edradour kann jetzt vier Fässer am Tag füllen.
Edradour Distillery Tour
Eigentlich war es gar nicht geplant Edradour zu besuchen. Schon gar nicht, dort eine Tour zu machen. Aber wie es so läuft, im Urlaub verschieben sich die Pläne und neue Ideen kommen hinzu.
Da unser Flug ordentlich Verspätung hatte und wir so erst mitten in der Nacht unsere Unterkunft beziehen konnten, war der erste Urlaubstag etwas ruhiger. Zum Glück wollten wir im Vorfeld den ersten Tag eh nicht verplanen und so konnten wir einfach frei heraus die Umgebung erkunden.
Der Plan war grob: Mal bei Dalwhinnie reinschauen (die dort gebuchte Tour war ein paar Tage später), und dann etwas weiter nach Süden Richtung Pitlochry. Wir ließen uns also treiben, hielten hier und dort an, machten eine kleine "Wanderung" (vielleicht eher Spaziergang) zu den Falls of Bruar und kamen in Pitlochry an. Dort fassten wir den Entschluss mal bei Blair Atholl reinzuschauen, aber keine Tour zu machen. Stattdessen ging es durch den Wald in Richtung Edradour. Die Uhrzeit ging schon auf 16 Uhr zu, sodass ich eigentlich nicht die Hoffnung hatte eine Führung machen zu können.
Wir kamen nach einem kleinen Marsch durch Wald und an Feldern vorbei an der Brennerei an. Die Uhrzeit zeigte knapp vor vier und die letzte Tour sollte um vier starten. Dennoch war das Gelände und der Shop gut gefüllt. Wir wurden direkt gefragt, ob wir noch eine Tour machen wollten, es sei so viel Bedarf, dass es noch eine Führung um 16:30 Uhr gäbe. Gefragt, gesagt, getan. Mit 10 Pfund pro Person ist die Tour bei Edradour am oberen Ende der "Standardtour"-Preise, aber dennoch allemal fair bepreist.
Nach der Bezahlung durften wir etwas weiter auf das Gelände (der Shop ist direkt vorne an) und in der Tasting Bar Platz nehmen. Wir hatten ja schließlich noch ein wenig Wartezeit vor uns. Meine
bessere Hälfte brauchte dringend(st!) einen Kaffee, immerhin war es ja nachmittags und glücklicherweise wurde gerade einer frisch aufgesetzt. Für 2,50 Pfund gab es nicht nur den Kaffee, sondern
obendrauf auch noch den Becher zum mitnehmen. Für schottische Verhältnisse ein echter Schnapper!
In der Bar selbst gibt es unglaubliche Flaschen zu bestaunen und auf Wunsch auch zu verkosten. Dabei kann man auch gerne 100 Pfund für einen Dram auf den Tresen legen, das Fasslager von Signatory
macht es möglich!
Die Tour selbst könnte man fies als "Standardkost" abspeisen, damit würde man ihr aber nicht gerecht werden. Zum einen kann man überall und immer Fotos machen. Bei Edradour gibt es keine "Sicherheitsbedenken", und die ganze Nummer ist anscheinend auch noch nicht explodiert. Hier könnten sich andere Brennereien mal ein Beispiel nehmen! Dieses fadenscheinige "aus Sicherheitsgründen nirgends fotographieren" ist einfach nur nervig!
Zum anderen merkt man hier, mit wie viel Elan gearbeitet wird. Eine Nacherzählung kann der Stimmung auf dem Gelände nicht gerecht werden! Unsere Führerin war begeistert dabei, obwohl ja eigentlich Feierabend war und wusste auf jede Frage eine hilfreiche Antwort. Ja, man sei zwar nicht mehr die kleinste Brennerei Schottlands, aber jetzt zwei statt vier Fässern produzieren zu können würde einen ja nun auch nicht zur Industrieanlage verkommen lassen, oder? Auch im Fasslager durften wir uns frei bewegen und alles ablichten. Einfach "feel free to look around, but don't drink too much". So entspannt hatte ich selten eine Führung erlebt.
Die Brennerei selbst gehört wirklich zu den schönsten Schottlands. Ich habe schon einige Brennereien gesehen und für mich können da bisher nur Strathisla oder die Speyside Distillery mithalten.
Edradour zieht sich wie ein kleines Dorf durch die Landschaft. Mehrere Gebäude stehen an einem kleinen Weg, das Wasser plätschert dazwischen. Eine Bahnanbindung oder große Straße, wie bei den
meisten anderen Brennereien, scheint meilenweit entfernt. So kann idyllisch Whisky produziert werden. Entspannt, mit Ruhe und eben nur vier Fässer am Tag.
Die größte Besonderheit soll natürlich nicht unerwähnt bleiben: Edradour benutzt einen Morton Refrigerator, in dem das Wasser heruntergekühlt wird, indem es durch viele Metalllamellen geleitet
wird, schaut euch einfach die Fotos an!
In der Verkostung, während des quasi-obligatorischen Imagefilms, waren der Edradour 10 Jahre, der Ballechin 10 Jahre und der Cremelikör. Für mich war der Ferieneffekt im vollen Gange, denn auch der 10 Jährige hat mir gut gefallen, obwohl ich eigentlich geschmacklich kein Fan der Brennerei bin.
Mein Highlight des Besuchs passierte ganz am Ende der Tour: Der Chef selbst stand im Shop und schaute dem Treiben von der Seitenlinie zu. Ein schüchternes Hallo später standen wir nebeneinander für ein gemeinsames Foto und einen kurzen Plausch. Ein sehr angenehmer, ruhiger Typ der Herr Symington!
Ein kurzes Fazit
Es sind doch immer die kleinen, unverhofften Dinge im Leben, die hängen bleiben. Diese Tour ist dabei kein Unterschied. Edradour ist wahrlich ein kleines Juwel der schottischen Whiskyindustrie, wobei das Wort "Industrie" hier wirklich fehl am Platze ist. Die Brennerei ist unglaublich schön und zeigt die Whiskyromantik, welche große Produktionsfabriken häufig vermissen lassen. Die Tour ist detailliert und bietet die Gelegenheit Eindrücke auch bildlich festzuhalten, dazu stellen die ausgeschenkten Whiskys das Profil der Brennerei gut vor.
... und für alle, die es wirklich wissen wollen, gibt es ja noch die Bar mit (fast) unbezahlbaren Schätzen!
Edradour 2006 / 2018 Marsala Cask Matured - Verkostungsnotizen
Über den Whisky: Kommen wir nun zum kleinen Star des heutigen Tages. Ich habe am letzten Urlaubstag noch ein wenig Platz im Koffer gehabt und dieser wurde mit dem heutigen Kandidaten gefüllt. Ein Glück, dass Edradour direkt auf dem Rückweg lag!
Dieser Whisky reifte 12 Jahre in einem Marsala Cask, zumindest steht auf der Flasche nichts von einem Finish. Abgefüllt wurde er in Fassstärke, ohne Färbung und ist nur in der Destille erhältlich. Dazu ist er mit 65 Pfund (~72€) auch noch recht fair bepreist.
Aroma: In der Nase zunächst leicht kühlend und etwas prickelnd. Der Alkohol wirkt zunächst relativ kräftig, obwohl wir hier "nur" 53,7% haben. Mit etwas Ruhe kommt ein kräftiger Getreidecharakter hinzu, dazu ein leichter Anflug von Malz. Dann erkenne ich eine Weinnote, das passt endlich zum Marsala. Allerdings kommt nach wie vor weniger Süße hervor, als ich erwartet hatte.
Geschmack: Auf der Zunge zunächst milder und zurückhaltender als die kräftige Nase mich hat erwarten lassen. Dann kurz prickeln, der Alkohol kämpft sich hervor. Im Geschmack kommt der Wein jetzt aber voll durch: Süß, dick, ölig & cremig. Die Süße erinnert an vollreife Früchte: Saftige Nektarine, die beim ersten Biss förmlich ausläuft. Pfirsich und ein wenig Traube. Dazu Malzigkeit und auch ein wenig Fasseinfluss. Die dezente herbe Eichennote setzt einen guten Konterpunkt und hebt diesen Whisky dann doch vom Likörwein ab.
Abgang: Erneut ein kurzes Prickeln. Dann verbleibt zunächst die weinige Süße, wirklich, wie als wenn man einen Dessertwein getrunken hätte. Der Mund ist schön ausgekleidet, der Whisky wärmt leicht den Rachen. Erst spät setzen dunklere und holzgetragene Noten ein: Ein wenig Kakao, Zartbitterschokolade übernehmen langsam von der Süße.
Abschließende Gedanken: Edradour verband ich bisher vor allem mit seifigen Noten, die mir so gar nicht gepasst haben. Aber bereits der 10er vor Ort hat mir gut geschmeckt, allerdings war ich mir damals nicht ganz so sicher, wie viel auf die Situation zurückzuführen ist. Diese Distillery Only Abfüllung gefällt mir aber auch sehr gut. Keine Spur von Seifigkeit! Vielmehr ist dieser Whisky stark vom Süßwein beeinflusst, jedoch ohne komplett in Süße zu ertrinken. Der leicht herbe Konter des Fasses gibt die nötige Balance und Ausgewogenheit. Ein feiner Tropfen, der mit knapp über 70 Euro auch einen vernünftigen Preis hat!
Kategorie: Scotch Single Malt
Destille: Edradour
Region: Highlands
Preis: 51-100€ (65 Pfund, ca. 72€)
53,7%
Kältefiltration: Nein
mit Farbstoff: Nein
Fasstyp: Marsala Cask
Destilliert: 22.03.2006
Abgefüllt: 16.04.2018
Fassnummer: 34913
Mehr Informationen:
Abschließende Bewertung: 6/7
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