Allzu häufig liest man: Whisky muss mehr als 40% haben (gerne Fassstärke!), darf nicht kühl gefiltert sein und Farbstoff geht gar nicht. Auch ich lege diese Kriterien an einen "guten Whisky an.
Der Royal Lochnagar müsste dementsprechend gar grausig sein, denn er lässt die äußeren Werte doch arg schleifen. Noch dazu kostet der Whisky nicht viel - Im Angebot habe ich letztes Jahr nicht mal 25€ bezahlt. Kann ja nichts sein! Ist aber doch was!
Guter Geschmack trotz Farbstoff!
Wenn man einen 25€ Whisky bespricht, der von einem großen Konzern in Massen produziert wird, dann kann man nicht das hochtrabendste Thema im Blogeintrag besprechen. Gut, ich könnte jetzt darüber philosophieren, dass 46% nun einmal besser, da voller und voluminöser, schmecken. Oder über die "Kastration" des Whiskys durch die allzu kühle Filtration. Das alles nur, um dann in der Besprechung völlig ad absurdum geführt zu werden. Also versuchen wir es doch mal anders. Runter mit der selbstverliebten Whiskynerd Brille und rein in den guten Geschmack!
Fakt ist nämlich: Whisky muss schmecken. Punkt-aus-Basta! Es gibt einfach zu viele Menschen, die Qualität an so vielen Kriterien festmachen, die vielleicht besten Falles Qualität vorgaukeln. Als Beispiel: Letzte Woche habe ich einen Bericht über Schuhläden gesehen. Qualität, Fairness, bla bla. Natürlich wurden auch Passanten auf der Straße zu ihrem Schuhkaufverhalten gefragt. Eine Antwort: "Hauptsache teuer!" Über die Gründe dieser Aussage kann man nun spekulieren, man kann es aber auch lassen. Nur, diese Einstellung gibt es so, oder abgewandelt eben auch beim Whisky. "Keine Fassstärke? Kauf' ich nicht!", "Kühl gefiltert? Kann gar nicht schmecken!".
Ich bin nur eben der Meinung: Da kann man sich ganz schön in die Nesseln setzen. Bester Beweis bin ich selbst. Ich habe in letzter Zeit einige Blindtastings gemacht. Die Ergebnisse könnt Ihr gerne bei fosm.de nachlesen. Sagen wir es mal so: Mit Ruhm habe ich mich nicht bekleckert. Aber immerhin auch nicht mit dem Whisky. Und ich wette, dass es vielen da draußen genau so ergehen würde. Da kann man noch so sehr über Kühlfiltration meckern, ich will die Person mal sehen, die das herausschmeckt!
Ach, ich rege mich gerade schon wieder auf. Lassen wir das! Eigentlich will ich euch nur sagen: Wenn Ihr Einsteiger seid, dann lasst euch die Whiskys die Ihr mögt, oder probieren wollt oder was auch immer nicht von den selbsternannten "Experten" madig machen. Um Farbstoff muss man sich zu Beginn der Whiskyreise einfach keine Gedanken machen. Und für die selbsternannten "Experten", zu denen ich vielleicht ja zähle (?!): Genießt doch mal lieber wieder einen 25€ Whisky. Das bringt alte Erinnerungen zurück, erdet und lässt den 1957 Glendings auch gleich doppelt so gut schmecken.
Lange Rede, kurzer Sinn und ohne zu viel vorweg zu nehmen: Der Royal Lochnagar ist richtig lecker. Für 25€. Kühl gefiltert. Gefärbt. So ist es nun mal.
Royal Lochnagar 12 Jahre - Verkostungsnotizen
Über den Whisky: Über den Royal Lochnagar findet man gar nicht allzu viele Angaben. Er ist abgefüllt mit 40% und wurde gefiltert und gefärbt. Ja, diesen orangefarbenen Schein sieht man wirklich.
Die Brennerei selbst liegt unweit von Balmoral Castle in den schottischen Highlands, seit 1845 beliebter Urlaubsort der Royals. So ist es auch Royal Lochnagar, wo angeblich die erste
Brennereitour der Geschichte stattgefunden hat: 1848 besuchte Queen Victoria, zusammen mit ihren Söhnen, die Brennerei. Anscheinend ein Erfolg, denn nur wenige Wochen später erhielt der Besitzer
John Begg den Royal Warrant. Seitdem darf die Brennerei "Royal" Lochnagar vertreiben.
Aktuell ist Royal Lochnagar allerdings eher im günstigen Spektrum angesiedelt, denn der 12 Jahre alte Single Malt kostet meist keine 30€. Andere Abfüllungen der Brennerei sind leider eher rar.
Aroma: Schade, dass es nicht mehr Originalabfüllungen gibt. Das denke ich direkt beim Erstkontakt! Das Aroma ist schön eindringlich und mit mehr Kraft ausgestattet als ich erwartet hatte. Drei Komponenten kommen mir zuerst in die Nase: Säure, Süße und leichter Rauch. All das harmoniert wunderbar, der Whisky wirkt gesetzt und irgendwie "old school". Ich vernehme Orangen, Nelke, etwas Blutorange. Weihnacht liegt ein wenig in der Luft. Dazu ein ganz angenehmer, dezenter Rauch. Nicht torfig, eher trocken und holzig. Die Süße geht leicht zurück, Gewürze kommen hervor, vorne weg Kardamom.
Geschmack: Der Geschmack setzt sich sehr ähnlich fort. Der Whisky ist überraschend mundausfüllend, richtig präsent am Gaumen. Dabei nicht kratzig, sondern geschmeidig-ölig. Das Aroma ist zunächst von den Orangen bestimmt, aber eher fruchtig. Etwas Weinbergpfirsich ist für mich dabei, dann übernehmen eher herbere Aromen. Kräuter und Rauch drängen in den Vordergrund - wobei, "drängen" passt kaum, denn der Übergang ist sehr harmonisch - und kleiden den Mund aus. Der Rauch ist dabei schön dezent, zu keinem Zeitpunkt überfordernd. Insgesamt fehlt natürlich ein wenig die Entwicklung im Vergleich zum Aroma, aber alles, was ich hier schmecke harmoniert gar wunderbar!
Abgang: Ein kurzes Aufblitzen von Eiche stellt sich direkt ein, verblasst dann aber kurz. Eine kurzer Anflug von zuckriger Süße, dann kommt wieder der kräftige Teil durch. Eiche habe ich dabei kaum, vielmehr Weichlakritznoten. Der Abgang ist erstaunlich lang.
Abschließende Gedanken: Mal ehrlich, ich hatte 0 Erwartungen! Dieser Whisky war ein "oh, der ist aber wirklich billig, da macht man zur Not nicht viel falsch"-Kauf und ist daher umso mehr eine große Überraschung. Er ist harmonisch, ohne langweilig zu sein und bietet dabei auch noch ein erstaunlich großes Aromenspektrum. Ja, man bekommt im Geschmack das, was man in der Nase schon geboten bekommen hat. Aber da sist gut, warum also über fehlende Entwicklung meckern? Insgesamt ist der Royal Lochnagar 12 Jahre ein feiner Whisky im alten Stil und das zu einem mehr als fairen Preis!
Kategorie: Scotch Single Malt
Destille: Royal Lochnagar
Region: Highlands
Preis: 0-50€ (~30€)
40%
Kältefiltration: Ja
mit Farbstoff: Ja
Fasstyp: Bourbon & Sherry (keine genauen Angaben!)
Mehr Informationen:
Royal Lochnagar auf A Dr(e)am of Sea
Abschließende Bewertung: 6/7
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